Ohne Humor kann ich leben, ohne Essen nicht. Die Frage ist: existiert Humor im Essen? Von Thomas Platt
Igor Levit ist gerade zu einem Pianissimo gelangt, das sich kaum abhebt von dem angespannten Schweigen des Saales. Als sollte das harmlose Walzer-Scherzo zur letzten Ruhe geleitet werden, weiten sich die Pausen zwischen den wie gehauchten Tönen aus dem Konzertflügel. Dann geschieht etwas Unerhörtes.
Fast zögernd, dann rasch dominanter beginnt in Block C ein Mobiltelefon. Durch Stoff und Futter gedämpft, entsteigt dem elektronischen Brummen der Beginn einer Melodie. Sie legt sich unter die Töne aus Dmitri Schostakowitschs Puppentänzen für Klavierschüler wie eine vibrierende Matte. Bevor sie Sekunden später erstickt ist, wird sie vom Pianisten mit einer nonchalanten Geste der Rechten in der Komposition willkommen geheißen.
An diesem Septemberabend in der Berliner Philharmonie gab es wohl niemanden, kann es niemanden gegeben haben, der in diesem Augenblick nicht von vitaler Heiterkeit beseelt gewesen wäre. Da sich Lachen, auch nur ein vereinzeltes, an dieser herausgehobenen Stelle verbot, strömte an seiner statt ein einvernehmlicher, gelöster Atem des Auditoriums hinab zum Podium. Eine solche Szene wäre in der Gourmetwelt niemals denkbar. Nicht einmal im Ansatz. Und das nicht etwa, weil man dort keinen Spaß verstünde oder keinen Sinn für’s Unvorhergesehene besäße. Oder es keinen Ort gäbe, an dem Vergleichbares vonstatten gehen könnte.
Anders als in der Musik existiert nur schlicht kein Potential für Humor IM Essen. Es ist kein Spielraum vorhanden, in dem er sich entfalten könnte, es gibt keinen Platz für fröhliche Gelassenheit und schon gar keinen für’s Leichtnehmen. Man muss das so ausdrücklich sagen, auch wenn es klingt wie um die Ecke gedacht. Denn Essen gehört zu den essentiellen Angelegenheiten des Lebens, die keine Zweideutigkeiten dulden, bei denen sich Leichtfertigkeit verbietet, weil sie sich allzu schnell rächt. Wenn man daran denkt, dass es sich beim Sex nicht anders verhält und auch dem reinen Atmen kein Humor entspringt, dann kann vermutet werden, dass eine Lebenseinstellung – und um nichts anderes handelt es sich ja beim Humor –, die den Dingen die Schwere nimmt und versucht, sie überwiegend von ihrer guten Seite zu sehen, offensichtlich erhebliche Gefahren bergen muss. Deshalb bleibt das Urteil über die Speisen letztlich einer so eindrucksvollen und gegenständlichen Sinnendimension wie dem Geschmack überlassen.
Ohne Humor kann ich leben, ohne Essen nicht. So klänge das Bekenntnis des Körpers. Vielleicht rührt von dieser existentiellen Bedeutung des Essens (bei dem ja immer auch die Gefahr der Vergiftung mitgedacht wird und das ohnehin bloß ein provisorischer Bau ist auf dem Boden des Hungers) auch die Verunsicherung vieler Köche. Dass sie sich in oft frappante Humorlosigkeit übersetzt, kommt einem begreiflich vor – auch wenn sie in manchen Situationen gar die von Radfahrern in mittleren Universitätsstädten zu übertreffen scheint, die wohlbehelmt und mit scharf geschliffenen Reifen Jagd auf unbotmäßige Fußgänger machen. Dem entspricht ein sturer Ernst in der Gourmandise. Er hat inzwischen in manchen hoch besternten Restaurants zu einer Art Chefarzt-Cuisine geführt. Pinzette, Skalpell und sterile Kompositionen sowie eine sakrale Atmosphäre, die nur vom Gewusel zahlreicher Tempeldiener in Livree gestört werden darf, überhöhen aber lediglich einen Grundbestand.
„Herr Ober, da ist ein Haar in meiner Fliegensuppe,“ dichtete einst der Comic-Künstler Brösel. Im Kochbuch für Stümper hat der Werner-Erfinder aus Ostholstein ziemlich genau vor 25 Jahren gezeigt, dass Kochen, Essen und Gastronomie ein weites Feld für die Belustigung eröffnen. Sein großer Kollege Ernst Kahl gab in einer angesehenen Gourmetpostille jahrelang seinen Lebensmittelhumor mit Pinsel und Palette zum Besten, Loriot hat sogar kulinarkomische Dramolette geschaffen von geradezu ikonenhaftem Wert.
In der Tat, Witze ÜBER das Essen gibt es zuhauf. Es geht eben auch eine Menge schief in einem Metier, dem keiner aus dem Weg gehen kann. Daraus resultieren komische Situationen, Witze, Pointen und durchaus auch Spott und Häme, teils Unterarten des Humors, teils seine Feinde. Trotzdem ist der Laie gut beraten, sich dem Küchenpersonal auf Zehenspitzen in Samthandschuhen zu nähern. Zumal vieles Kuriose, das sich beinahe schon mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit auf Speisekarten schleicht und den kulinarischen Jargon prägt, gänzlich ungeplant auf die Welt kommt und seine Entdeckung mit Unmut quittiert.
Kevin Fehling kocht nicht für das hungrige Volk. Doch er hat sich von diesen Vätern des Witzes, von diesen Humorsoldaten etwas abgeschaut, das ihnen gefallen würde. Der Herr der Mikroelemente, der Zitate und Cameos, der Mann der sukzessiven Entfaltung, der Diener kulinarischer Agogik hat seinen Spaß daran, unbekümmert das Mirakulöse in die Proportion, in die Größenverhältnisse sowie die Gewichtsverteilung und ins Geflecht der aromatischen Beziehungen zu inszenieren. Und so kommt es, dass seine Challans-Entenbrust mit Reiscrème, Himbeergel, Reisessig-Hollandaise und Shiso-Jus, ein paar Gramm mehr hier und ein paar weniger dort, fast unmerklich zu einer Humoreske ausufert. Wie gesagt, unmerklich fast. Wer zuerst lacht, isst am besten.
Illustrationen von Thomas Platt